"Franz Hermann" und der verlorene Mut zur Vielfalt im Motorsport

Von der Rennstrecke zur Restriktion – Wie Max Verstappen den Finger in die Wunde der Formel 1 legt

16.05.2025 | Max Verstappen – vierfacher Weltmeister, Sim-Racing-Champion, medialer Dauerbrenner. Und nun auch: Franz Hermann. Ein Pseudonym, das mehr sagt als ein ganzer PR-Zyklus. Verstappen ließ sich Anfang Mai in einen Ferrari 296 GT3 schnallen, verzichtete auf PR-Tross, Interview-Marathon und Sponsorencover und drehte getarnt unter einem deutsch klingenden Alias Runden auf der Nürburgring-Nordschleife – für viele die letzte wahrhaftige Rennstrecke Europas.

Was folgte, war weniger Bewunderung als Bevormundung. Kritik kam prompt: von Medien, Experten – und sogar ehemaligen Fahrern wie Ralf Schumacher, der dem Red-Bull-Star im Sky-Podcast attestierte, „nicht alle Tassen im Schrank“ zu haben. Die Nordschleife sei zu gefährlich. Max Verstappen aber konterte nüchtern: „Es ist mein Privatleben. Ich wollte Spaß haben.“

"Franz Hermann" hatte im Vorfeld bereits Tausende Nordschleifen-Kilometer im Simulator abgespult, kennt die Ideallinie wie seine Westentasche. Foto: Florian Goldstein

Spaß? Im modernen Formel-1-Zirkus fast ein Tabu.

Denn die Reaktion auf Verstappens Ausflug sagt viel über den Zustand der Formel 1 im Jahr 2025. Kaum eine Sportart ist derart durchkommerzialisiert, durchreglementiert und medial durchgetaktet wie die Königsklasse des Motorsports. Sponsorenverpflichtungen, PR-Kampagnen, Social-Media-Management – der Spielraum für persönliche Entfaltung ist schmaler als je zuvor. Wer heute Formel-1-Fahrer ist, ist kein reiner Sportler mehr, sondern ein wandelnder Markenbotschafter auf Asphalt.

Dabei war das nicht immer so.

Ein Blick zurück in die 1970er Jahre zeigt eine gänzlich andere Welt. Damals war es üblich – ja sogar notwendig –, dass Formel-1-Piloten zwischen den Grands Prix das Cockpit wechselten. Jacky Ickx, Hans-Joachim Stuck, Jochen Mass, Rolf Stommelen oder Niki Lauda – sie alle waren Stammgäste bei Langstreckenrennen, am Nürburgring, in Spa oder in Le Mans. Lauda gewann 1973 das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring – in einer Zeit, als das Wechseln der Disziplinen zum guten Ton gehörte und sportliche Vielfalt nicht nur erlaubt, sondern erwünscht war.

Heute? Ein solcher Doppelschlag scheint nahezu undenkbar.

Verstappens „Ausflug“ wurde nicht nur intern abgesegnet, er war auch abgesichert. Der 27-Jährige hatte im Vorfeld bereits Tausende Nordschleifen-Kilometer im Simulator abgespult, kennt die Ideallinie wie seine Westentasche – nicht zuletzt durch sein Engagement in der Digitalen Nürburgring Langstrecken-Serie (DNLS), wo er bereits mehrere Siege einfahren konnte. Dennoch wurde sein privates Testfahren zum medialen Sturm im Wasserglas.

Dabei ist die Nordschleife genau das Gegenteil des sterilisierten F1-Erlebnisses: Hier teilen sich hochprofessionelle GT3-Teams die Strecke mit ambitionierten Amateuren. Hier zählt fahrerisches Können – nicht nur Sponsorenlogos. Motorsport zum Anfassen, Motorsport zum Erleben.

Verstappens Wunsch, künftig vielleicht beim 24-Stunden-Rennen an den Start zu gehen, ist in diesem Kontext fast schon revolutionär. Doch genau hier zeigt sich die Schieflage im modernen Rennsport: Die Formel 1 ist ein geschlossener Raum geworden. Von sportlicher Durchlässigkeit, wie man sie früher zwischen Formel 1, Sportwagen und Tourenwagen kannte, ist kaum noch etwas geblieben.

Es ist schade. Es ist traurig. Es ist symptomatisch.

Max Verstappen hat mit seinem mutigen Schritt – ob nun als “Franz Hermann” oder als er selbst – mehr getan, als ein paar schnelle Runden zu drehen. Er hat der Motorsportwelt einen Spiegel vorgehalten. Er hat gezeigt, dass Leidenschaft, Neugier und sportlicher Ehrgeiz heute zu Konflikten führen, wo sie früher gefeiert wurden.

Und er hat bewiesen: Die Lust am Rennsport lebt noch. Nur leider nicht überall.

Max Verstappen unterwegs auf der Nürburgring Nordschleife
Max Verstappen gönnte sich eine geheime Ausfahrt auf der legendären Nordschleife des Nürburgrings. Foto: Stefan Schneider/SWOOSH Communications

Kommentar von Christoph de Haar

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